Handschriftliche Ergänzungen, Eintragungen oder Veränderungen sind in zahlreichen gedruckten Büchern der frühen Neuzeit zu finden. Neben Besitzvermerken (die z.T. sogar Drohungen im Hinblick auf Diebe enthielten) war es für gelehrte Humanisten selbstverständlich, typographische Texte mit einem Schreibinstrument in der Hand zu lesen, damit sie durch inhaltsbezogene Notizen oder gar Zeichnungen die Inhalte besser verinnerlichen konnten. Darüber hinaus wurden gedruckte Texte handschriftlich erweitert, um sie in einen neuen Kontext zu stellen, oder theoretische Annahmen wurden praktischen Beobachtungen gegenübergestellt, um sie richtig zu stellen. Durchschossene Exemplare wurden entweder mit großem Zeilenabstand gedruckt oder mit zusätzlichen Seiten versehen, damit die Leser ihre Gedanken, Übersetzungen oder Beobachtungen vermerken konnten. In England wurden Schreibkalender sogar mit dickeren Seiten versehen, die mit einer feinen Schicht aus einer Gips-Mixtur behaftet waren, damit die darauf geschriebenen Notizen später wieder weggewischt werden konnten, um neue Vermerke einfügen zu können.
Während vor einigen Jahrzehnten gedruckte Bücher mit handschriftlichen Annotationen noch als ‚unsauber‘ galten und daher seltener gesammelt wurden, werden handschriftliche Notizen in den Druckwerken der frühen Neuzeit in den letzten Jahren zunehmend wichtiger. Heute werden annotierte Bücher sehr geschätzt, da sie die Interessen, Lesemethoden und Wissenspraktiken zeitgenössischer Rezipienten aufzeigen. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Studien, die sowohl Inhalte als auch Arbeitsweisen anhand der Notizen untersuchen und so Rückschlüsse zum Beispiel auf Diktiermethoden im schulischen und universitären Unterricht erlauben. Zudem gibt es internationale Projekte, wie Annotated Books online, einem Projekt, welches über 100 annotierte Exemplare verzeichnet, unter anderem von Martin Luther und Philip Melanchthon.
Auch auf kleineren Publikationen, wie Einblattdrucken, lassen sich Annotationen finden, die sogar so extensiv sein können, dass der gedruckte Text weitestgehend in den Hintergrund tritt. Diesen Einblättern, denen häufig noch zu wenig Bedeutung beigemessen wird, waren meist mit großen Rändern um den gedruckten Text ausgestattet, der von Zeitgenossen vielseitig genutzt wurde. So wurden neben, über und unter den Satzspiegel u.a. Informationen eingeordnet und Ideen niedergeschrieben, die zur Interpretation der Nachrichten oder zu Vorbereitung auf Disputationen helfen sollten. Für manche Drucksachen, wie Verordnungen und Formulare, war die handschriftliche Vervollständigung sogar unabdingbar.
Um diese Funktionen der Handschrift im Druck zu untersuchen, soll im Folgenden zunächst ein kurzer genereller Überblick über Einblattdrucke des 16. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum gegeben werden, um danach genauer auf drei Gattungen – Neuigkeiten, Disputationen und Amtsdrucke – einzugehen, in welchen sich vielfach gedruckte Texte und handschriftliche Eintragungen vereinigen. Dabei sollen zuerst die verschiedenen Funktionen der Einblattdrucke, auch mit Blick auf die Rezipienten, vorgestellt werden, um herausarbeiten zu können, wie sich diese Funktionen durch die handschriftlichen Erweiterungen geändert haben. In vielen Fällen ist zu beobachten, dass mit Einblattdrucken genau wie mit umfangreicheren Publikationen interagiert wurde und dabei die Anmerkungen und Zusätze weit über bloße Lesehilfen hinaus gingen.